Barbara und Axel Haubrok über bedrohte Kunstfreiheit: „Berlins Ruf steht auf dem Spiel“

Barbara und Axel Haubrok sind Berliner Sammler, die sich nicht nur für Kunst begeistern, sondern auch für Berlin und das Kulturleben in der Stadt. Sie packen selbst mit an. Die Haubroks haben in Lichtenberg die Fahrbereitschaft gegründet, einen Gewerbe- und Kreativhof auf dem historischen Gelände der Abteilung Verkehr der ehemaligen DDR-Regierung, wo sie Kunst zeigen und Veranstaltungen organisieren. Am Sonntag beginnt in der Fahrbereitschaft die Gesprächsreihe „Consider Listening“, bei der an zehn Wochenenden über drängende Probleme im Berliner Kunst- und Kulturbetrieb gesprochen wird. Die beiden Sammler sind überzeugt: Die Stadt hat ein Problem. Wir haben das Paar im Berliner Verlag zum Gespräch getroffen.
Herr Haubrok, Frau Haubrok, wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass es eine Gesprächsreihe braucht wie nun die von Ihnen etablierte Serie „Consider Listening“?
Axel Haubrok: Wir spüren, dass die Kunst in vielerlei Hinsicht bedroht ist. Wir sehen, dass es Budgetkürzungen gibt, einen Verteilungskampf in der Stadt. Die Künstler in Berlin stehen unter einem großen Druck. Auch die Marktsituation hat sich verändert: Kunst wird nicht mehr so gut verkauft, wie es mal der Fall war. Die Galerien stehen unter ökonomischem Druck, weil die Kosten steigen und die Anforderungen erfolgreicher Künstler immer höher werden. Darüber hinaus wird auch noch über Antisemitismus in der Kunst diskutiert, nicht immer zu Recht. Die Politik hat viele rote Linien gezogen. Die Künstler sehen ihre Kunstfreiheit in Gefahr.
Barbara Haubrok: Das hat dazu geführt, dass Berlin und Deutschland als Kunststandorte nicht mehr so hoch angesehen sind, wie das früher der Fall war. Das hat Auswirkungen auf die Kunst. Dieses Dilemma hat uns motiviert, die Diskussionsreihe zu starten, in der wir offen über die Probleme sprechen wollen. Die Veranstaltungen finden an zehn Wochenenden statt, am Sonntag ist Auftakt.
Was sagen Ihnen Künstler über die aktuelle Situation in der Stadt?
Axel Haubrok: Sie können häufiger nicht mehr ausstellen, was sie wollen. Auch die Galerien sind viel vorsichtiger geworden, sind nicht mehr bereit, alles zu zeigen. Selbst Künstler untereinander sind nicht immer bereit, zusammen auszustellen, wenn sie unterschiedliche Ansichten haben.
Barbara Haubrok: Künstler, die politisch arbeiten, sind in Galerien nicht mehr so gewünscht. Die Galerien fokussieren sich auf verkaufbare Ware. Der wirtschaftliche Druck wird größer. Wir kennen mehrere gute Künstler, die eine Galerie suchen, aber keine finden können, obwohl sie etwa auf der Documenta ausgestellt haben.
Geht es vor allem um Künstler, die propalästinensische Kunst zeigen?
Axel Haubrok: Auch, aber nicht nur. Es ist eine grundsätzliche Tendenz. Man muss nur einmal auf Trump schauen: Der amerikanische Präsident versucht, zu bestimmen, was in der Kunst wünschenswert ist und was nicht. Ich bin mal gespannt, was wir für Diskussionen in Deutschland mit unserem neuen Kulturminister bekommen werden.
Ein konservativer Kulturminister, der nun über eine eher liberale, progressive Kunstszene bestimmen soll.
Axel Haubrok: Ja, das klingt widersprüchlich, da die meisten Künstler für Internationalität und Offenheit stehen. Meine Sorge ist, dass das auch in Deutschland bald nicht mehr gewünscht sein wird.
Barbara Haubrok: Die Rahmenbedingungen für Künstler verschlechtern sich insgesamt, das sehen wir mit Sorge.
In Berlin hat das von Joe Chialo geplante Antisemitismus-Gesetz für eine Kontroverse in der Kunstszene gesorgt. Wie haben Sie die Debatte erlebt?
Axel Haubrok: Wir hatten den Eindruck, dass es darum geht, auf Künstler Druck auszuüben. Das Gesetz kam nicht, aber die Debatte hat ihre Wirkung gezeigt. Das haben wir bei der Organisation von „Consider Listening“ gesehen. Es war tatsächlich schwierig, Diskussionspartner zu finden, die etwa in der Antisemitismus-Debatte das Wort ergreifen wollen. Wenige wollen öffentlich die Kunstpolitik kritisieren. Wir sind in den 60er-Jahren groß geworden. Für uns gab es nur eine Richtung: Man wollte Dinge ausdiskutieren, man wollte sich nach vorne bewegen. Das passiert heute viel seltener. Viele haben Angst, sich wirklich frei zu äußern.

Bei Ihrer Diskussionsreihe treffen Künstler, Politiker, Kuratoren, Direktoren, Kunstbegeisterte aufeinander. Wer hat die größten Bedenken, sich zu äußern?
Barbara Haubrok: Diejenigen, die öffentliche Etats nutzen oder von diesen abhängig sind, sind sehr vorsichtig geworden.
Sie haben trotzdem Diskutanten gefunden?
Barbara Haubrok: Ja, haben wir, aber es war schwierig.
Axel Haubrok: Wir sehen die Tendenz überall. Galerien wollen auch nicht mehr provozieren.
Das heißt, dass Ausstellungen weniger politisch werden, auch in Galerien?
Axel Haubrok: Ja. Es gibt schon einige Galerien, die sehr ambitioniert waren, experimentell und politisch, und jetzt schwerpunktmäßig Malerei zeigen, weil sie die besser verkaufen können.
Blicken wir nochmal auf Berlin: Was müsste sich ändern, damit sich die Stimmung in der Kunstszene wieder verbessert?
Axel Haubrok: Die Politik sollte versuchen, möglichst wenige rote Linien zu ziehen. Auf der anderen Seite braucht es eine Infrastruktur, die gut ausgestattet ist. Eine grundsätzliche Offenheit gegenüber der Kunst. Die Politik sollte nicht sofort Kritik abfeuern, nur weil auf irgendeinem Bild irgendwo weit unten eine kleine Palästina-Flagge zu sehen ist.
Barbara Haubrok: Auf der einen Seite gibt es finanzielle Kürzungen durch die Politik. Auf der anderen finden Ausstellungen nicht statt, weil teilnehmende Künstler nicht bereit sind, zu erklären, dass sie, wenn sie sich kritisch mit Israel auseinandersetzen, gleichzeitig den Hamas-Terror erwähnen.
Berlin ist stark durch Kultur geprägt. Hat die Stadt wegen der Diskursverengung schon Schaden genommen?
Barbara Haubrok: Ja. Als man früher gesagt hat, dass man aus Berlin kommt, hat jeder gesagt: Wie toll! Heute ist das nicht unbedingt so. In Los Angeles werden wir nicht mehr so positiv angesprochen, wenn Menschen hören, dass wir aus Berlin kommen. Wenn wir nach tollen Ausstellungen gefragt werden, haben wir häufig keine guten Antworten mehr parat. Aber das mag subjektiv sein.
Droht Berlin, eine Stadt zu werden, wo sich Künstler nicht mehr ansiedeln werden?
Axel Haubrok: Ich sehe hier ein Risiko, ja. Kunst ist wie Kapital, wie ein scheues Reh. Sie kann hier und dort hin. Früher sind die Künstler ja nicht wegen des Geldes hergekommen, sondern weil Berlin eine coole Stadt war. Es ist also durchaus möglich, dass sich andere Zentren etablieren.

Das billige Leben gibt es hier auch nicht mehr.
Barbara Haubrok: Gut, das ist der Lauf der Dinge, das kann man Berlin nicht vorwerfen. Aber was passiert, ist schon, dass viele Künstler nun schauen, welche interessante Orte es sonst so gibt. Paris steht jetzt sehr hoch im Kurs. Paris macht aber auch eine Menge, um die Kunst zu fördern.
Axel Haubrok: Für Galerien war Berlin sowieso nicht der beste Ort. Die Galerien sind nach Berlin gekommen, weil die Künstler hier waren und hier repräsentiert werden wollten. Nicht, weil hier so viele Sammler sind. Und wenn man jetzt Städte wie Paris ansieht, dann sind die nicht nur aufregend und architektonisch interessant, sondern sie verfügen auch über große Galerien. Die gibt es in Berlin so nicht, auch keine großen Auktionshäuser. Der europäische Kunstmarkt findet in Paris und London statt, nicht in Berlin.
Und dann hat man auch noch eine größere künstlerische Freiheit dort.
Axel Haubrok: Ja. Das kommt hinzu. Wenn Sie zur Biennale in Venedig fahren, dann gibt es dort selbstverständlich auch israelkritische Kunst. Da geht es um die politische Kunst an sich. Natürlich, Berlin und Deutschland haben eine besondere Vergangenheit. Das muss man selbstverständlich sehen. Aber wenn man wirklich mal darüber reden würde, also die besonderen Sensibilitäten diskutieren würde, die es hier zu beachten gilt, statt mit Verboten und Druck zu agieren, würde man auch viel mehr erreichen und die künstlerische Freiheit und den Kunststandort Deutschland nicht gefährden.
Barbara Haubrok: Wir möchten Berlin aber nicht schlechtreden. Wir sind hier hingekommen, weil wir Berlin als spannende Stadt empfinden. Wir fühlen uns hier wohl. Wir wollen anregen, dass Berlin weitermacht, nach vorne guckt und seinen offenen Charakter erhält – und weiterentwickelt. Darum geht es uns.
Axel Haubrok: Wir wollen offen diskutieren, die Probleme benennen und darüber sprechen, welche Initiativen man starten könnte, um die Situation zu verbessern. Deswegen haben wir zu unseren Podiumsgesprächen Künstlergruppen eingeladen, die sich autonom organisieren. Wir haben ein Stipendium mit der UdK ins Leben gerufen. Wir wollen eine Brücke bauen zwischen Künstlern und Galeristen. Wir versuchen, diskursiv zu sein; wir wollen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenbringen und nicht einfach Berlin niederknüppeln.
Gibt es Höhepunkte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Axel Haubrok: Wir haben eine Ausstellung auf die Beine gestellt, die man sich bei uns in der Fahrbereitschaft angucken kann. Es gibt einen thematischen Zusammenhang zwischen der Diskussionsreihe und der Ausstellung. Wir haben neben den Diskussionen zum Beispiel auch noch Performances oder ein Konzert von 2raumwohnung eingeplant, und zum Beispiel machen die Burg-Schauspielerinnen Bibi Beglau und Caroline Peters mit. Aber es geht uns nicht um große Namen. Alle, die teilnehmen, unterstützen uns auch inhaltlich und helfen uns so, eine breite inhaltliche Debatte anzustoßen. Wir haben versucht, unser Netzwerk zusammenzubringen, um so viele Menschen wie möglich nach Lichtenberg zu locken. Alles ist umsonst zu sehen. Wir wollen so niedrigschwellig wie möglich sein und nicht nur Kunstexperten anziehen. Dennoch, als private Initiative wollen wir zwar Impulse liefern, aber keinesfalls die Arbeit des Berliner Senats übernehmen, so wie sich Joe Chialo das vorstellt. Privatinitiativen können nicht Lückenbüßer für die fehlende Unterstützung durch den Senat sein.
Barbara Haubrok: Man muss es positiv sehen: Berlin ist durch die Kultur attraktiv geworden. Das ist schon ein Marketing-Faktor, ein Standort-Faktor. Unternehmen, die ihre Vorstände ansiedeln wollen, kriegen bessere Leute, wenn sie an einem Ort sind, der interessant ist. Das muss sich Berlin erhalten. Dafür wollen wir werben.
Axel Haubrok: Berlin braucht Kultur. Das muss allen klar werden.
Consider Listening, Veranstaltungsreihe, 4.5. bis 6.7.2025, immer sonntags, ab 14 Uhr. Fahrbereitschaft, Herzbergstraße 40–43, 10365 Berlin-Lichteberg. Die Auftaktveranstaltung am Sonntag, 4. Mai, 17 Uhr, wird von Tomasz Kurianowicz, Chefredakteur der Berliner Zeitung, moderiert. Thema: „Braucht Berlin noch Kultur?“ Diskussion über den Stellenwert von Kunst für die Hauptstadt mit Christina Weiss, Klaus Lederer und Michael Müller. Alle weiteren Infos: https://haubrok.org/
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